Charisma ist einer der vermutlich unschärfsten Begriffe im Bereich von Führung und Leadership. Er hat etwas Unergründliches, Faszinierendes, manchmal auch Gefährliches und das Wort wirkt dabei auch ein bisschen aus der Zeit gefallen. Künstliche Intelligenz lässt keinen Stein auf dem andern – insofern lohnt es sich schon, einmal zu prüfen, ob und wie sich das Thema Charisma durch Künstliche Intelligenz verändert.
Charism-AI? Führung zwischen Glanz, Gefühl und ChatGPT
Umgangssprachlich wird der Begriff Charisma auch häufig stark mit Ausstrahlung und Überzeugungswirkung in Verbindung gebracht. ChatGPT macht das übrigens auch und behauptet, dass Charisma traditionell eng mit „Persönlichkeitsausstrahlung, emotionaler Intelligenz, Präsenz und Überzeugungskraft“ verbunden sei. Rein psychologisch betrachtet ist das nicht ganz richtig. All die genannten Aspekte betreffen Stil und persönliche Wirkung, man kann Charisma aber nicht ohne inhaltliche Botschaften denken. Führungskräfte werden charismatisch, weil sie für eine Idee, eine Mission oder für ein Ziel stehen, das in einer bestimmten Zielgruppe als besonders attraktiv wahrgenommen wird und Sehnsüchte oder Zukunftshoffnungen aktiviert. Das stilistische Element ist wichtig, um diese Botschaft erfolgreich zu transportieren. Aber nur mit Präsenz und Rhetorik wird niemand charismatisch sein, der inhaltlich nichts zu sagen hat. Menschen folgen Führungspersonen UND einer Idee und dann gibt es eine charismatische Wirkung.
Ausstrahlung reloaded: Wer führt, wenn Charisma programmierbar wird?
Derzeit zumindest findet Führung zwischen Menschen statt. Charismatische Wirkungen treten zwischen Menschen auf. Wenn eine bestimmte Botschaft oder eine bestimmte Führungsperson eine bestimmte Zielgruppe erreicht, dann ist ein unsichtbares Band geflochten, durch das sich die Bereitschaft erklärt, sich für die charismatische Idee einzusetzen. Wenn man an dem eigenen Charisma arbeiten möchte, hat man dementsprechend auch zwei Ansatzpunkte, um dies zu tun:
- Der erste Ansatzpunkt betrifft die Botschaft, für die man antreten will. Was ist die eigene charismatische Idee? Mit welcher Idee könnte es gelingen, Menschen zum Mitmachen zu bewegen, weil die Menschen das Zutrauen haben, dass bei der Realisierung dieser Idee durch Sie als Führungspersonen die versprochenen Ziele erreicht werden können? Ein kleiner Test hat gezeigt: Hier kann ChatGPT zum Beispiel schon helfen. Wenn Sie ChatGPT fragen, wie zum Beispiel eine Veränderung vermittelt werden muss, damit möglichst viele Menschen sich in der Idee wiederfinden können, kann ChatGPT hier Ideen liefern – ein bisschen frustrierend für diejenigen, die Charisma als ein zutiefst menschliches Phänomen sehen, aber leider wahr.
- Und natürlich wird man in Zukunft auch eine Reihe von Möglichkeiten sehen, die eigene Überzeugung zur Kommunikationswirkung KI-gestützt weiterzuentwickeln. Wer eine charismatische Rede halten will, kann zunächst mal zu den Inhalten Feedback einholen, aber wer zusätzlich sein Kommunikations- und Rhetorikverhalten testen will, der wird hier auch schnell die entsprechenden Tools finden.
KI kann nicht charismatisch sein, aber KI kann unter Umständen Menschen helfen, Zielgruppen besser zu „lesen“, Botschaften besser abzustimmen und diese überzeugender zu vermitteln.
Deep Impact oder Deep Fake: Licht und Schatten
Charisma lebt ein gutes Stück von der Authentizität der Menschen, die für eine bestimmte Idee und Zielsetzung stehen und sich kommunikativ für dafür einsetzen. Wenn das alles KI-optimiert erfolgt, dann ist eine gewisse Gefahr des „Over-Engineering“ sicherlich gegeben und die Frage bleibt, ob man KI-generierte Botschaften, die vor dem Hintergrund maximaler Zielgruppenanschlussfähigkeit optimiert worden sind, genauso authentisch rüberzubringen vermag, wie Ideen, die nur mit natürlicher Intelligenz entstanden sind. Wenn die Kommunikation selber sogar auf synthetische Art und Weise erfolgt, ist die „Deep-Fake-Gefahr“ noch größer. Es gibt in der Geschichte viele große Charismatiker, die es mit der Wahrheit nicht so genau genommen haben, aber je weniger klar ist, welchen Quellen man noch vertrauen kann und je mehr die Algorithmen dabei helfen, dass jeder Mensch die Botschaften bekommt, auf die er besonders anspringt, umso schwieriger wird es zu wissen, wem man wirklich noch vertrauen kann.
Aber hier schließt sich der Kreis: Vertrauen ist ein zentraler Inhaltsstoff des unsichtbaren Bandes, was Führungspersonen und die Menschen verbindet, die ihnen folgen. Diese Dynamik wird bleiben, auch wenn es vielleicht noch schwieriger werden wird, zu prüfen, wem wir unser Vertrauen schenken sollten.
Handlungsempfehlungen
- Wenn Sie eine charismatische Botschaft vertreten müssen, z.B. im Rahmen einer Veränderung oder einer anspruchsvollen Zielsetzung. Lassen Sie sich gerne helfen, indem Sie mit ChatGPT „sounden“, welche Befürchtungen und Hoffnungen Ihre Zielgruppe hat und wie Sie Ihr Projekt so in Botschaften packen, dass es maximal anschlussfähig ist. Anschlussfähigkeit heißt, dass das „unsichtbare Band“ geknüpft wird!
- Wenn Sie eine Kommunikation ihrer charismatischen Botschaft vorbereiten, dann müssen Sie sie natürlich so darstellen können, dass man Ihnen Ihr Projekt auch zutraut. Sie müssen die Stärke und Kompetenz vermitteln, die nötig ist – wenn das nicht klappt, wird man Ihnen nicht folgen. Auch hier können Sie natürlich „sounden“ – aber zumindest im Augenblick wird eine KI noch nicht das persönliche Feedback von Feedbackgebern Ihres Vertrauens ersetzen können.
- Bleiben Sie sich trotzdem selbst treu, auch, wenn es absolut legitim ist, sich von einer künstlichen Intelligenz helfen zu lassen. Es wird eine relevante Zukunftskompetenz sein, kritisch mit KI-Resultaten umgehen zu können. Wenn Sie nur die Ergebnisse von ChatGPT „copy-paste“ verwenden, dann wird Ihnen etwas fehlen. Vertrauen Sie gerne ein Stück weit der KI, aber vertrauen Sie noch mehr Ihrer Urteilskompetenz und ihrer Intuition. Dann können Sie das Beste aus beiden Welten umsetzen.