Die Ausgestaltung von Development Centern (DC) wird in der Regel als Top-down-Prozess definiert: Anforderungen und Format werden „von oben“ bestimmt, also von HR und/oder Führungskräften. Die Kriterien sollen die von ihnen definierten Anforderungen an eine bestimmte Position abbilden, wobei zumeist das bestehende Kompetenzmodell bzw. Führungsleitbild des Unternehmens den Rahmen festlegt. Aufbauend auf der Definition der Anforderungen entwickeln im zweiten Schritt die Assessment-Experten Übungsbausteine, welche diese Kompetenzen beobachtbar machen.
Dieses Format entspricht der Logik von Auswahl-Assessment-Centern und hat sich auch im Development Center im Laufe der Jahre bewährt. Dies gilt insbesondere, wenn es um bestimmte Zielpositionen oder -ebenen geht, deren Anforderungen klar definierbar sind und die entsprechend im Rahmen des Verfahrens für den Teilnehmer erlebbar gemacht werden. Ein klassisches Beispiel in diesem Zusammenhang sind die Development Center zur Übernahme von Führungspositionen auf einer bestimmten Ebene. Aufgrund der einheitlich formulierten Kriterien und Bausteine für eine häufig größere Gruppe von Kandidaten erscheint dieser Top-down-Ansatz in solchen Situationen durchaus sinnvoll.
Jedoch verfolgen Development Center in vielen Fällen auch andere Ziele und erlauben Formate, in denen die Beteiligung der Teilnehmer bereits in der Ausgestaltung der Verfahren von großem Nutzen sein kann. Dabei geht es insbesondere darum, die Perspektive der Teilnehmer in der Definierung der zu bewertenden Kriterien sowie in der Entwicklung der Übungsbausteine zu berücksichtigen. Gerade entwicklungsorientierte Feedbacks im Rahmen von Change-Prozessen oder individuelle „Standortbestimmungen“ erlauben es, auf vordefinierte Kriterien zu verzichten und mehr Freiraum für den Input der Teilnehmer zu lassen – ein Vorgehen, von dem der gesamte Prozess profitieren kann.
VORTEILE DER TEILNEHMER-BETEILIGUNG
Im Change Management ist es eine etablierte Überzeugung: Je stärker Menschen mit etwas konfrontiert werden, worauf sie keinen Einfluss haben, desto eher entstehen Widerstand und sinkt die Akzeptanz. Und wie aus der Change-Management-Forschung bekannt ist, ist nicht nur die regelmäßige Kommunikation, sondern auch die Beteiligung der Betroffenen von wesentlichem Nutzen.
Darüber hinaus bietet die Beteiligung zusätzlich den Vorteil, dass qualitativ wertvolle Ideen in den Prozess einfließen und Aspekte, die für die Betroffenen relevant sind, automatisch berücksichtigt werden. So wie die Beteiligung in Veränderungsprojekten können Co-Creation-Ansätze im Development Center Vorteile mit sich bringen:
- Eine höhere Akzeptanz und positive Einstellung der Teilnehmer, die wiederum deren Bereitschaft erhöhen, sich mit dem resultierenden Feedback auseinanderzusetzen und die nachfolgenden Entwicklungsmaßnahmen in die eigene Hand zu nehmen
- Eine erhöhte Qualität der Development Center selbst, indem Kriterien und Situationen in den Mittelpunkt der Beurteilung gestellt werden, die für den Teilnehmer besonders zentral sind und die vor dem Hintergrund der Herausforderungen „im echten Leben“ eine besonders hohe Validität haben
Neben diesen zentralen Vorteilen zeigen sich je nach Zielgruppe noch weitere positive Aspekte:
- Der Teilnehmer erfährt Wertschätzung und entwickelt ein höheres Commitment in Bezug auf seine Aufgaben. Er setzt sich im Rahmen der Co-Creation intensiv mit der eigenen, eventuell neuen Rolle auseinander und stärkt so das eigene Bewusstsein im Hinblick auf Aufgaben und Anforderungen. Nicht zuletzt entspricht das Vorgehen einem zukunftsweisenden Verständnis von Personalentwicklung, indem die Eigenverantwortung der Teilnehmer im gesamten Lernprozess gefördert wird. So wird aus dem „Empfänger einer Leistung seitens der Personalentwicklung“ ein „aktiver Mitgestalter“ des Prozesses.
- Für die Führungskraft bedeutet die aktive Beteiligung des Mitarbeiters zunächst eine höhere Motivation durch die Vermeidung einer klassischen „Testsituation“. Außerdem werden berufliche Herausforderungen noch realitätsnäher abgebildet, sodass die Teilnehmer das Feedback stärker auf die eigene Situation beziehen können. Die aktive Auseinandersetzung mit den Aufgaben schafft zudem mehr Klarheit über Strukturen und Rollen im Team und erleichtert es dem Mitarbeiter, schneller in einer neuen Position erfolgreich zu sein.
- Der Personalbereich erhöht durch die Moderation des Prozesses den Mehrwert von Development Centern, positioniert sich stärker als Partner und Begleiter, erhöht die Attraktivität von Development Centern und sichert effektivere Entwicklungsmaßnahmen auf Basis einer höheren Teilnehmermotivation und eines als besonders alltagsrelevant empfundenen Feedbacks.
- Das Unternehmen insgesamt profitiert von mehr Eigenverantwortung durch die Beteiligung von Mitarbeitern, einem höheren Return of Investment von Personalentwicklungsmaßnahmen und unterstützt die Entwicklung einer modernen und für viele potenzielle Bewerber attraktiven Unternehmenskultur.
Wie genau sieht Co-Creation im Development Center also aus? Wie werden Teilnehmer an Development Centern an Planung und Konzeption konkret beteiligt?
CO-CREATION IN DER AUSGESTALTUNG VON DEVELOPMENT CENTERN
Im Rahmen eines Co-Creation-Ansatzes können Teilnehmer an zwei zentralen Stellen involviert werden:
- Beteiligung an der Auswahl der Bewertungsdimensionen. Die Teilnehmer wissen häufig am besten, was ihre größten Herausforderungen unter den aktuellen Rahmenbedingungen sind und welche Kompetenzen in diesem Zusammenhang erforderlich sind. Ihr Input stellt eine sinnvolle Ergänzung des Unternehmens-Kompetenzmodells dar oder sie wählen aus, welche der Kompetenzen schwerpunktmäßig in den Vordergrund gestellt werden sollen.
- Beteiligung an der Auswahl der Übungen. Durch die Möglichkeit, die Art der simulierten Situationen mitzuerarbeiten, können die Teilnehmer eine Kontextualisierung sicherstellen: Die Übungen sind für sie besonders relevant und aktuell. Sie berücksichtigen deren spezifischen Kontext. Somit bekommen Teilnehmer die Möglichkeit, sich in einem sicheren Rahmen persönlich herausfordernden Situationen zu stellen, in denen sie sich auch tatsächlich ausprobieren wollen.
PRAKTISCHE UMSETZUNG VON CO-CREATION IN DEVELOPMENT CENTERN
Gestaltungsideen der Teilnehmer lassen sich effektiv im Rahmen eines Workshops entwickeln. Je nach Zielsetzung bietet sich hier eine Dauer von etwa einem halben Tag an.
Das Ziel des Workshops besteht darin, Ideen zu den zu bewertenden Kompetenzen und/oder zu den Übungsbausteinen des anstehenden Development Centers zu erarbeiten. In beiden Fällen sind die aktuellen oder anstehenden Aufgaben und Herausforderungen am Arbeitsplatz ein geeigneter Ausgangspunkt für die Ableitung. Dies gibt Teilnehmern die Möglichkeit, bestehende und neue Anforderungen systematisch und intensiv zu reflektieren.
Im nächsten Schritt erfolgt die Übersetzungsleistung, bei der die Frage im Vordergrund steht, in welchen spezifischen Situationen im beruflichen Alltag diese Herausforderungen zentral sind bzw. welche Kompetenzen für deren Überwindung entscheidend sind. Auch diese Aufgabe erlaubt es den Teilnehmern, sich intensiv mit neuen Verhaltensmustern und deren Um-setzung bzw. Übersetzung in den Alltag auseinanderzusetzen.
Die nachfolgende Abbildung fasst den Ablauf eines solchen Workshops zusammen. Das strukturierte Ergebnis aus diesen zwei Schritten liefert bereits wertvolle Ideen und Erkenntnisse für die Ausgestaltung der Development Center. Bei einer hohen Anzahl an Vorschlägen erfolgt eine Priorisierung der einzelnen Optionen durch die Teilnehmer im Rahmen des Workshops.
CO-CREATION: KREATIVE BETEILIGUNG ODER WUNSCHKONZERT?
Für die Development-Center-Veranstalter stellt sich häufig die Frage, wie viel Freiraum sie den Teilnehmern im Rahmen der Mitgestaltung überlassen können. Es besteht die Sorge, dass die Veranstaltung ihren herausfordernden Charakter durch die Beteiligung oder eine umfangreiche Vorbereitung der Teilnehmer im Vorfeld verliert, was wiederum die Aussagekraft der Ergebnisse mindern könnte. Diese Befürchtung stellt sich in der Praxis allerdings als unbegründet heraus. Wie im beruflichen Alltag bleibt eine persönliche Herausforderung auch dann herausfordernd, wenn man Zeit für die Vorbereitung hat. Entsprechend zeigen sich auch im Co-Creation-Ansatz sehr differenzierte individuelle Stärken und Entwicklungsfelder der einzelnen Teilnehmer.
Und tatsächlich ist zu beobachten, dass Teilnehmer, die sich mit den Herausforderungen an ihre sich verändernde Rolle auseinandersetzen, sich keinesfalls „schonen“ und z. B. Übungsinhalte definieren, die eventuell weniger herausfordernd sind als die von übergeordneten Führungskräften oder HR vorgegebenen. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die Herausforderungen werden sehr klar benannt und es werden Übungen definiert, die die Teilnehmer als anspruchsvoll empfinden und fordern. Oft ist zu beobachten, dass diese angeregt werden, das Development Center auch tatsächlich für sich nutzen, um sich an den Herausforderungen zu messen und entsprechendes Feedback zu erhalten.
Eine weitere Befürchtung betrifft die Auswahl der eingeschätzten Kriterien: Sie sollen oft auch aus einer strategischen, zukunftsorientierten Sicht Relevanz haben, dem Framework des Kompetenzmodells oder übergeordneter Werte entsprechen. Diese stehen für die Teilnehmer eventuell zunächst nicht im Mittelpunkt. In solchen Situationen hilft es, von Anfang an klar zu definieren, welcher Rahmen vorgegeben ist und wo Co-Creation stattfinden soll. Hier gilt es, gegenüber den Teilnehmern ein klares Erwartungsmanagement zu betreiben und die Gestaltungsspielräume im Rahmen des Co Creation-Ansatzes transparent zu kommunizieren. Den Teilnehmern sollte jederzeit klar sein, welche Aspekte aus strategischen und methodischen Gründen vordefiniert sind, und wo Mitgestaltungsmöglichkeiten bestehen. Ein solches transparentes Vorgehen schafft Transparenz und Vertrauen im Prozess, was wiederum eine zielgerichtete Zusammenarbeit erlaubt. Einen Rahmen geben und Co-Creation ermöglichen sind keine Gegensätze.
ERFAHRUNGEN MIT DEM CO-CREATION-ANSATZ
Profil M konnte bereits viele positive Erfahrungen mit dem Co-Creation-Ansatz machen. Im Folgenden werden zwei Fälle exemplarisch vorgestellt:
Fall 1: Energieversorger
Im ersten Fall handelte es sich um einen regionalen Energieversorger, bei dem die operative Führungsebene mit umfassenden Veränderungen konfrontiert war. Eine wesentliche Herausforderung bestand darin, dass Mitarbeiter und Führungskräfte eingeführte Neuerungen im Hinblick auf Prozesse im Alltag tatsächlich leben und neue Software-Tools effektiv nutzen. Der Fokus des initiierten Development Centers bestand darin, Ansatzpunkte für die gezielte Entwicklung der übergeordneten Führungsebene zu finden, um die erfolgreiche Umsetzung der Veränderungen in deren Verantwortungsbereichen sicherzustellen. Es galt zunächst herauszufinden, welche Kompetenzen in diesem spezifischen Veränderungsprozess von besonderer Relevanz waren. Welche speziellen Kompetenzen benötigten die übergeordneten Führungskräfte, um die Veränderungen nachhaltig zu implementieren? Aus diesem Grund wurde vom übergreifenden und naturgemäß allgemeineren Kompetenzmodell des Unternehmens Abstand genommen.
Der Co-Creation-Ansatz bot sich an, um die erfolgsrelevanten Kompetenzen mit den übergeordneten Führungskräften herauszuarbeiten und diese als Kriterien für deren eigene Kompetenzbewertung im Rahmen des Development Centers zu nutzen. Dies geschah in Workshops mit den beteiligten Führungskräften entsprechend dem oben beschriebenen Ablauf. Als Ergebnis wurden Kriterien definiert, die sich insbesondere auf Anforderungen bezogen, die mit Change Management in Verbindung stehen und von den Teilnehmern als zentral und relevant für die aktuellen Führungsherausforderungen empfunden wurden. Im Nachgang erarbeitete Profil M passende Übungsbausteine, welche die Teilnehmer im Laufe des Development Centers durchliefen.
Eines der positiven Ergebnisse dieser Vorgehensweise war, dass sich die Teilnehmer bereits nach dem Workshop sichtlich stärker mit ihrer Rolle als Treiber der aktuellen Veränderungen identifizierten. Sie berichteten darüber hinaus von einem deutlich besseren Gefühl und mehr Verständnis für das anstehende Development Center. Im Nachgang konnten sie sich trotz der für sie ungewohnten Situation (das letzte DC hatte vor längerer Zeit stattgefunden) gut auf das Verfahren einlassen.
Fall 2: Industriekonzern
Im zweiten Fall handelte es sich um ein Development Center kurz nach der Einführung eines neuen Key Account Managements in einem global agierenden Industriekonzern. Die Teilnehmer sollten als langjährige Produktexperten und Verkäufer in die neue, deutlich strategische ausgerichtete Rolle eines Key Account Managers hineinwachsen.
Nach der Einführung des neuen Key Account Managements stellte sich die Frage, inwieweit die bisherigen Produktexperten und Verkäufer über die notwendigen Kompetenzen verfügten, um den Anforderungen der neuen Aufgaben gerecht zu werden. So sollten zielgerichtete individuelle Entwicklungsmaßnahmen geplant werden. Im Gegensatz zum ersten Beispiel waren jedoch die neuen Anforderungen an die Vertriebsmitarbeiter klar definiert und basierten auf einem vorgegebenen Set an Kompetenzen, die im Kontext der geschilderten Veränderungen als strategisch relevant definiert wurden. Hier ging es um die Frage, in welchen konkreten Situationen in der veränderten Rolle diese Anforderungen eine zentrale Rolle spielen.
Ziel des Co-Creation Workshops war entsprechend, gemeinsam mit den Teilnehmern die Übungstypen und -inhalte für das Development Center zu erarbeiten. Ausgangspunkt waren sowohl die von den Teilnehmern als herausfordernd erlebten neuen Aufgaben als auch die bereits definierten strategischen Anforderungen. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass der Fokus des Development Centers zum einen auf den Anforderungen lag, die mit Blick auf die strategischen Anforderungen zentral waren, und zum anderen auf den Aufgaben und Situationen, welche von den Teilnehmern als besonders herausfordernd und alltagsrelevant erlebt wurden.
Die Rückmeldungen der Teilnehmer nach dem Development Center waren ausgesprochen positiv. Insbesondere die Realitätsnähe der Übungen wurde sehr positiv bewertet und der Mehrwert und die praktische Nutzbarkeit des Feedbacks wurden ungewöhnlich hoch eingeschätzt. In beiden dargestellten Fällen bestätigten die Teilnehmer darüber hinaus in ihrem Feedback, dass der Workshop im Vorfeld dazu beigetragen hat, eine angenehme und wertschätzende Atmosphäre zu schaffen und die erlebte Anspannung beträchtlich zu reduzieren.
Es wurde deutlich, dass der Co-Creation-Ansatz über die inhaltlichen und konzeptionellen Ziele hinaus einen sehr positiven Beitrag schaffen kann, um die Akzeptanz der Development Center zu fördern und eine ideale Grundlage für die nachfolgenden Maßnahmen zu schaffen.
POTENZIELLE EINSATZMÖGLICHKEITEN EINES CO-CREATIONANSATZES
Der Co-Creation-Ansatz im Development Center kann, wie in den beschriebenen zwei Fällen, gerade im ChangeKontext von großem Nutzen sein. Er stellt eine ideale Form des Development Centers dar, um Verständnis für und Auseinandersetzung mit sich ändernden Anforderungen zu ermöglichen:
- Strukturelle Veränderungen: Auseinandersetzung mit den notwendigen Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Umsetzung der geplanten Veränderungen notwendig sind (siehe erstes Fallbeispiel)
- Veränderung der aktuellen Rolle aufgrund von neuen Aufgaben und Zuständigkeiten (wie im zweiten Beispiel)
- Wechsel in eine neue Rolle durch Übernahme einer neuen Funktion (z. B. erste Führungsaufgabe)
- Umgang mit tiefgreifenden Veränderungen mit deutlichen kulturellen Auswirkungen (z. B. durch stärkere Digitalisierung)
- Bildung neuer Teams, was mit der Definition neuer Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten verbunden ist