Ehrlich fordern, echt kümmern: Die neue Relevanz von Feedback
In einer Arbeitswelt, in der sich Teams und Führungskräfte kontinuierlich neu ausrichten müssen – nicht zuletzt aufgrund des Einflusses von KI – wird ein altbekanntes Thema zur aktuellen Führungs-Ressource: Feedback. Dabei stellt sich seit jeher die Frage, wie es gelingt, ehrliches Feedback zu geben, das nicht demotiviert, sondern Vertrauen stiftet und Sicherheit gibt. Kim Scotts Konzept „Radical Candor“ liefert dafür einen klaren Rahmen: Es geht um die Fähigkeit von Führungskräften – und Teams – andere ehrlich zu fordern und ihnen gleichzeitig mit echtem, wertschätzendem Interesse zu begegnen. Der Kern liegt in der Kombination aus “Caring Personally” und “Challenging Directly”, wie Scott es nennt. Wer als Führungskraft beides kombiniert, kann echte Entwicklung ermöglichen und eine Kultur schaffen, in der psychologische Sicherheit die Basis für Innovation und Performance herstellt.
Ist KI die bessere Feedbackgeberin?
Nun kommt die KI ins Spiel – und wo erlaubt und aufgefordert, gibt sie uns heute schon Feedback. Vielleicht sogar besser als Führungskräfte? Sie ahnen es bestimmt. Die Antwort ist nicht schwarz-weiß. Zunächst einmal: Sie ist eine gute Feedbackgeberin. Sie kann präzise analysieren und Muster erkennen, die uns selbst oft nicht so bewusst sind. Wer z.B. seine eigenen E-Mails, Meeting-Beiträge, oder auch seine Kommunikation mit der KI auswerten lässt, bekommt strukturiertes, klares und oft erstaunlich treffendes Feedback – inklusive praktischen Tipps für Optimierungen. Und das in einer Form, die allen Regeln der Kunst entspricht: klar und konstruktiv, eingebettet in wertschätzende Formulierungen. Das kann sie wirklich gut – Hand aufs Herz – oft besser als dies Führungskräften gelingt, die diese Skills erst erlernen müssen und denen es dann im Alltag mit erlebtem Druck, eigenen Emotionen und gemeinsamer Vorgeschichte doch nicht immer leichtfällt. Und trotzdem ist die KI NICHT die bessere Feedbackgeberin im Sinne von Radical Candor. Warum? Ihre Wertschätzung und ihr Verständnis sind simuliert. Sie sind nicht das Zeichen einer Beziehung, sondern das Produkt von Prompts und Trainingsdaten.
Beziehung kann man nicht programmieren
Radical Candor verlangt echte Beziehung. Es geht eben nicht nur darum, konstruktiv zu kommunizieren oder Kritisches freundlich zu verpacken. Dies sind lediglich die erforderlichen Kommunikationsskills. Es geht darum, sich für Mitarbeitende zu interessieren, sich offen mit deren Perspektive und Beweggründen auseinanderzusetzen und ein ehrliches Interesse daran zu haben, dass Mitarbeitende das Feedback für sich nutzen und daran wachsen können. Die KI hat aber kein Interesse an Mitarbeitenden – auch nicht, wenn das so klingt. Haben Sie auch schon einmal ein KI-Lob für eine absichtlich abstruse Frage an ChatGPT erhalten? Dann kennen Sie den Effekt. Wir wissen, der KI fällt es leicht, das zu sagen. Es geht für Sie um nichts und daher bedeutet es wenig. Wir bauen daher keine vertrauensvolle Beziehung zu ihr auf, sondern zu den Menschen in unserer Umgebung, – wenn sie Radical Candor leben, was nicht selbstverständlich ist und das sie Zeit für Zuwendung kostet. Gerade das macht das Feedback wertvoll und stärkt die Beziehung.
Noch mehr Beziehung – Selbstoffenbarung
Feedback hat noch mehr mit Beziehung zu tun: Es ist immer auch ein Statement über die feedbackgebende Person selbst. Es vermittelt: Was ist ihr wichtig? Welche Haltung hat sie zur Zusammenarbeit? Wie möchte sie mit ihrem Team arbeiten? Wenn Feedback von der KI formuliert wird, gibt sie Mitarbeitenden die Gewissheit, auf dem richtigen Weg gemäß allgemeiner Standards zu sein – denn hieran wurde sie trainiert. Aber aus dem Feedback von Führungskraft und Kolleg*innen lernen wir, was anderen wichtig ist und woran wir gemessen werden. Und das gibt uns Sicherheit und Orientierung in der Zusammenarbeit.
Zwischen Tool und Haltung: Wie KI Feedback unterstützt, nicht ersetzt
KI-Feedback kann also sehr viel, aber es ist kein Ersatz für Führungsfeedback. Würden Führungskräfte den Feedback-Job in der Mitarbeitenden-Entwicklung in großen Teilen an die KI delegieren, so würden sie genau das Gegenteil von Radical Candor erzielen. Aber natürlich kann KI eine wertvolle Ergänzung und Unterstützung sein. Die Zukunft guter Führung liegt im klugen Sowohl-als-auch: Technologie und echte Verbindung. Wer beides bewusst einsetzt, schafft eine Feedbackkultur, die Sicherheit gibt, Entwicklung ermöglicht und Zusammenarbeit stärkt.
Praktische Empfehlungen für Ihren Führungsalltag
- KI als Vorbereitungstool nutzen: Gerade für schwierige Feedbacksituationen hat die KI Empfehlungen und konkrete Hilfestellungen für Führungskräfte parat. Dies gibt Ihnen die Sicherheit und eventuell auch den letzten notwendigen Motivationsschub, „es anzugehen“. Kim Scott selbst hat in Zusammenarbeit mit Google Labs einen KI-Coach kreiert, der es Führungskräften ermöglicht, ihr „Portrait“ nach Feedbacktipps zu befragen. Leider ist es derzeit noch nicht in Deutschland verfügbar. ChatGPT & Co. stehen jedoch bereit, Sie zu unterstützen.
- KI als Reflexionshilfe nutzen: Lassen Sie sich von einer KI Rückmeldungen zu Ihrer Gesprächsführung oder Ihrem generellen Feedbackverhalten geben. Geben Sie der KI die Aufgabe dies mit Blick auf die Radical Candor-Kriterien zu tun.
- Laden Sie Mitarbeitende ein, KI-Feedback zu nutzen, um kontinuierlich an Entwicklungsfeldern zu arbeiten, auf die sie sich verständigt haben. Und bleiben Sie persönlich dazu im Austausch. So nutzen Sie das Beste aus beiden Welten.
Lust auf mehr Brainfood?
Scott, Kim (2024): Radical Candor – Authentisch führen: Wie Sie als Führungskraft durch Offenheit und Transparenz überzeugen
Scott, Kim (2024): Radical Respect: How to Work Together Better
Neueste Radical Candor-Informationen, z.B. zum Führen in unsicheren Zeiten, finden Sie auf der Radical Candor Homepage: Radical Candor | Feedback Training, Coaching & Consulting